Strafrecht fürs Pfeifen – und fürs Denken

Strafrecht fürs Pfeifen – und fürs Denken

Die aktuelle Runde in der Regulierungsdebatte kommt mit dem allerfreundlichsten Etikett daher: Schutz. Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, unterstützt den Vorstoß der SPD, sogenanntes Catcalling – sexuell anzügliche Zurufe oder Gesten im öffentlichen Raum – strafbar zu machen. Berichtet wurde darüber quer durch die Medien; Ataman verlangt „rechtliche Klarheit“ und begrüßt explizit eine Gesetzesinitiative der Justizministerin. Damit wird aus Alltagsunhöflichkeit potenziell Strafrecht – und spätestens hier beginnt das Problem. WELT, epd/evangelisch.de.

Wer die Sicherheit von Frauen (was ist eigentlich mit Männern, die „Opfer“ sexueller Anzüglichkeiten werden, wir denken da zum Beispiel an die unsäglichen Plakate gegen sexuelle Übergriffigkeit, die in einigen Freibädern zu sehen waren) wirklich erhöhen will, setzt zuerst auf das, was heute schon wirkt: Präsenz, Aufklärung, Verfolgung konkreter Übergriffe. Das Strafgesetz enthält dafür längst scharfe Mittel. Seit 2016 gibt es den Tatbestand der sexuellen Belästigung für körperliche Übergriffe (§ 184i StGB). Dazu kommen Beleidigung (§ 185 StGB), Nötigung und andere zahlreiche andere Tatbestände. Niemand ist gezwungen, massive verbale Entgleisungen tatenlos hinzunehmen. Das Strafrecht allerdings war bislang Ultima Ratio gegen klar bestimmtes Unrecht – nicht das Werkzeug, um mehrdeutige Unhöflichkeit in Tatbestände zu gießen. § 184i StGB, § 185 StGB.

Die neue Idee will den Staat abermals mächtiger machen, ohne das zu erreichen, um was es wirklich geht, nämlich den Schutz vor tatsächlichen Übergriffen. Nicht ein klar strafbares Verhalten soll sanktioniert werden, sondern Worte und Gesten, deren Bewertung im Auge des Betrachters liegt. Die Aussicht darauf klingt nicht erfreulich, nicht einmal mehr harmlos, folgt aber einer gewissen inhärenten Logik in einem Staat, der es blendend versteht, sein eigenes Verbots-Geschäftsmodell immer weiter auszubauen. Ein zusätzliches Delikt bringt nicht automatisch mehr Sicherheit, aber garantiert mehr Verwaltungsvorgänge. Wer behauptet, ein neuer Paragraph koste „nichts“, verrechnet die Wirklichkeit von Polizei und Justiz klein: Jede Stunde, die der Apparat sich einer Grauzone widmet, fehlt in der Bekämpfung realer Delikte. Und das, während sich gleichzeitig unglaubliche 1 Million unerledigte Fälle bei deutschen Staatsanwaltschaften stapeln.

Dazu kommt die unvermeidliche Unschärfe. Was genau wäre künftig strafbar? Zuzwinkern? Ein flapsiger Spruch? Der missratene Flirtversuch? Aber vielleicht ist genau diese Unschärfe das, was linke Politik so sehr schätzt: Die Schere im Kopf. Menschen, die nicht wissen, ob ein unpassender Satz in einer stressigen Alltagssituation demnächst als Straftat zählt, halten lieber den Mund. Öffentliche Sphäre wird nicht respektvoller, sondern ärmer. Eine weitere Cover-Version eines Lieblings des autoritären Staates: Wer nichts unrechtes getan hat, braucht ja keine Angst zu haben.

Das ist kein einmaliger Ausrutscher, sondern fügt sich in ein wachsendes Geschäftsmodell staatlicher Steuerung: Für jeden Konflikt des Alltags entsteht eine Meldestruktur, ein Tatbestand, ein „Leitfaden“. Im Netz existieren heute bereits staatliche und staatlich angebundene Meldestellen und das Zauberwort der „Hetze“ darf dabei natürlich nie fehlen, wie zum Beispiel bei HessenGegenHetze. In Hessen kann jeder mit wenigen Klicks angebliche „Hate Speech“ melden; die Meldestelle prüft und leitet weiter, es gibt sie eben doch noch, die Infrastrukturen in Deutschland, die richtig gut funktionieren. Inwiefern damit echte Hetze, die, die schon seit eh und je strafrechtlich relevant wäre, jemals verhindert wurde, könnte einmal Gegenstand einer durchaus interessanten Untersuchung sein – vor allem aber normalisiert es immer weiter ein Vorgehen, Meinungsäußerungen vorsorglich gefährlicher zu machen. Der Weg von der Meldung zur Ermittlungsakte ist mittlerweile bekanntlich kurz.

Ein Catcalling-Paragraph ist die Fortsetzung dieser Logik im analogen Alltag. Er trainiert die Bevölkerung zu Vorsicht, nicht zu Respekt. Er belohnt Anzeigeverhalten und Haarespalterei bis hinunter auf die Molekülebene – und verdrängt nach und nach die Einsicht, dass eben nicht jede Grenzüberschreitung strafwürdig ist und eine derartige Normenverschiebung schafft grundsätzlich Dauereinrichtungen: Polizei-Checklisten, Schulungen, Leitfäden, Statistikpflichten. Wer in dieses System einmal investiert hat, will künftig nicht mehr davon lassen, er wird es lieber sogar noch weiter ausbauen wollen. Das allzu fadenscheinige Versprechen des „Mehr Schutz“ will in Wirklichkeit nichts anderes sagen als: Mehr Vollzug. Institutionen wachsen; Kultur schrumpft.

Der Hinweis, Catcalling sei demütigend und schüre Angst, soll dabei nicht leichtfertig weggewischt werden. Doch mittlerweile dürfte jedem (außer so manchen Politikerinnen von SPD und Grünen) klar geworden sein: Wer Frauen im öffentlichen Raum schützen, zieht die Grenze bei Übergriffen, die den Namen verdienen. Stattdessen diskutiert Berlin seit Monaten sogar Sonderabteile für Frauen: wer braucht noch einen besseren Beleg dafür, dass gefühlte Unsicherheit nicht per Paragraph verschwindet, sondern durch gelebte Übernahme von Verantwortung durch den Staat, dort, wo sein Kerntätigkeitsfeld liegen müsste. Tagesspiegel, Berliner Zeitung.

Man kann diese Entwicklung auch nüchterner lesen: Der Staat baut seine Übergriffigkeit aus, weil es politisch belohnt wird. Jede neue Norm verschafft die Erzählung, gehandelt zu haben. Jede neue Meldestelle erzeugt Zahlen, die Tätigsein belegen. Die Kosten für diese Farce-Strategien trägt der Steuerzahler, so einfach und so bequem ist das, jedenfalls für die Politik.

Die Debatte dieser Tage könnte eine Chance bieten, dieses komplett auf dem Weg zum Irrsinn befindliche System wieder neu zu sortieren. Ein Staat, der jede Belanglosigkeit normiert, erzieht Untertanen. Ein Staat, der Freiheit schützt, investiert in schützt die Rahmenbedingungen, sozial, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, die notwendig sind für ein gedeihliches Miteinander der in diesem Staat lebenden Menschen – aber da wären wir ja schon wieder bei den Kernaufgaben des Staates, also genau dort, wo Deutsche mittlerweile jegliches Vertrauen verloren haben. Und Catcalling bliebe, was es ist: geschmacklos, verwerflich, kränkend, und manchmal sogar tatsächlich strafbar, und zwar nach Gesetzen, die seit Generationen gelten. WELT, epd/evangelisch.de, taz, § 184i StGB, § 185 StGB, BKA ZMI-Partner, HessenGegenHetze.