Einschüchterung und Meinungsfreiheit – Wehret den Anfängen
Aktuell werden wir Zeugen von Angriffen auf rechtsstaatliche Grundsätze in Deutschland, die in diesem Ausmaß vor dreißig, selbst vor zwanzig Jahren niemand hätte vorhersehen können. Die Ermittlungsverfahren gegen die Journalisten Norbert Bolz und Julian Reichelt sind dabei nur ein weiteres Puzzlestück in einer Entwicklung, die wie stets mit „Sicherheit“ begründet wird, die Sicherheit vor Meinungsäußerungen, die als Hass und Hetze gewertet werden, die Sicherheit unserer Gesellschaft allgemein. So schlug die CDU kürzlich vor, die Videoüberwachung mit Gesichtserkennung auf öffentlichen Plätzen in Deutschland auszuweiten. Ebenfalls musste die Sicherheit, in diesem Fall diejenige von Kindern, als Rechtfertigung für den wiederholten Vorstoß der EU zur Einführung einer Chatkontrolle herhalten.
All diesen Tendenzen liegt eine stetig weiter voranschreitende Entkoppelung zwischen Regierungshandeln und Bürgern zugrunde, die seit Jahren zu einer immer stärkeren Erosion von eigentlich grundgesetzlich garantierten Rechten führt. Solange diese Tendenz eindeutig belegbare Verstöße gegen bürgerliche Rechtsgarantien wären, wäre auch die Lösung – zumindest in einem funktionierenden Rechtsstaat – vergleichsweise einfach: Richter und Staatsanwälte, die Journalisten wegen zulässigen Meinungsäußerungen verfolgen, könnten der Rechtsbeugung oder Verfolgung Unschuldiger angeklagt, Politiker, die hemmungslos in die geschützte Privatsphäre von Bürgern eingreifen wollen, im Wege von Klagen vor Verfassungsgerichten gestoppt werden. Doch unser Rechtsstaat ist in weiten Teilen nicht mehr funktional.
Eine große Rolle dabei spielt die teilweise geradezu ins Groteske übersteigerte Auslegungsbedürftigkeit vorhandener Gesetze, die letztlich jede Entscheidung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Grenze zur Strafbarkeit überschreitet, zu einer rein subjektiven Gefallensentscheidung macht. So wurde unter anderem spitzfindig darauf hingewiesen, dass es rein formal betrachtet bei Norbert Bolz gar keine Hausdurchsuchung gegeben habe, da er ja, als ihm Polizeibeamte vor der Tür seiner Privatwohnung einen Durchsuchungsbeschluss präsentierten, freiwillig in die Durchsuchung eingewilligt habe.
Des Weiteren könne sein X-Post, in dem er mit dem Begriff „erwachen“ auf eine Überschrift der taz rekurrierte und die ihrerseits das exakt selbe und für sich genommen unverfängliche deutsche Wort verwendete, trotz offenkundiger Ironie immer noch strafbar sein. In einem für Nicht-Juristen undurchblickbaren Wildwuchs aus Paragraphen, Unterabsätzen und diversen, gerne auch einander widersprechenden Auslegungen durch Gerichte entsteht statt Rechtssicherheit eine Rechtsunsicherheit, wo formalisiertes Recht wie das deutsche eigentlich dem Gewohnheitsrecht angelsächsischer Länder gerade in der Vorhersehbarkeit seiner Ergebnisse überlegen sein sollte.
Wie bizarr eine solche ins Willkürliche abdriftende Rechtsauslegung werden kann, sehen wir nicht nur an dem eklatanten Beispiel des X-Posts von Norbert Bolz, in dem eine für jedermann erkennbare pragmatische Auslegung gegenüber einer nahezu an den Haaren herbeigezogenen semantischen Auslegung zurückgestellt wird, um etwas, das per se nicht strafwürdig sein kann, doch so weit zurechtzubiegen, dass es schließlich in die Ausnahme einer Ausnahme fällt und dann doch wieder in die Nähe einer Strafwürdigkeit gerückt werden kann, und sei es auch nur um der Einschüchterung willen. Auch das Ermittlungsverfahren gegen Julian Reichelt, der vor einer Unterwanderung der deutschen Polizei durch arabische Clan-Strukturen warnt, während gleichzeitig ausgerechnet der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Dokumentation sendete, die eben diese Gefahr thematisiert.
Vielmehr lässt sich eine Kontinuität erkennen, wonach Gerichte jeweils die für einen Beschuldigten nachteiligste Auslegung eines Sachverhalts wählen, wenn gesellschaftliche oder politische Kommentare von klar konservativer Seite kommen. Äußerungen hingegen, die einer links-alternativen Gesinnung zuzuordnen sind, werden vielfach nachsichtiger behandelt.
So ist es bis heute einem normal verständigen Menschen schwer zu vermitteln, weshalb die Aussage, alle Soldaten seien Mörder, laut Bundesverfassungsgericht eine zwar provokante, aber nicht strafbare politische Meinungsäußerung ist, obwohl hier Bundeswehrangehörige, die unser Land im Zweifel unter Einsatz ihres Lebens verteidigen, pauschal als Kriminelle herabgewürdigt werden. Gleichzeitig aber ein simples Wort eines Bundeskanzlers, mit dem er die Zustände in Deutschlands Innenstädten kritisiert, eine tagelange und gut orchestrierte Welle öffentlicher linker Empörung lostritt. Weshalb, wie in den vorliegenden Fällen von Norbert Bolz und Julian Reichelt, das bloße Zitieren anderweitig nicht vorwerfbarer Äußerungen schon eine Straftat sein soll, während Horden von Muslimen durch deutsche Innenstädte ziehen und die Ausrufung des Kalifats fordern können.
Und weshalb zum Beispiel der Staatsschutz involviert wird, wenn im öffentlichen Raum Deutschlandfahnen gehisst werden, während gleichzeitig die Äußerung „Deutschland verrecke“ laut Bundesverfassungsgericht als satirisch überzeichnete Gesellschaftskritik zu verstehen und damit zulässig sei.
Kritiker dieser Sichtweise mögen einwenden, dass ja viele konservative Meinungsäußerungen, die über Meldestellen & Co. inkriminiert wurden, sich bei genauerer Prüfung als erlaubt erwiesen haben und deswegen rechtsstaatlich betrachtet doch alles in Ordnung sei. Aber genau an diesem Punkt entfaltet das Zusammenspiel der Vielzahl von Einschüchterungsinstrumenten seine volle Kraft. Während reichweitenstarke Publizisten wie Julian Reichelt über die Mittel und Kontakte verfügen, um sich gerichtlich gegen ihre Einschränkung der Meinungsfreiheit zur Wehr zu setzen, zieht sich die Schlinge der Ungewissheit, wie sehr man etwas äußern darf, für jeden normalen Bürger seit Jahren immer weiter zu. Die entsprechenden Umfrageergebnisse sprechen Bände.
Das schärfste Schwert hierbei ist die Unsicherheit, die durch mehrmals um die Ecke gedachte Gesetzestexte entsteht, angesichts derer selbst Juristen regelmäßig davon sprechen, es handle sich stets um Einzelfallentscheidungen und man könne nie wissen, wie ein Gericht in einem vorliegenden Fall urteile. Was wiederum dazu führt, dass unbescholtene Bürger tendenziell eher Strafbefehle für Meinungsäußerungen akzeptieren als sich auf langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren einzulassen. Und letztlich immer mehr davon absehen werden, von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen. Was schließlich nichts anderes bedeutet als das Ende eines jeden öffentlich geführten Diskurses, sofern er vermeintlich missliebige Sichtweisen vertritt wie zum Beispiel konservative. Das allerdings wäre das Ende einer funktionierenden Demokratie, deren Voraussetzung gerade die unvoreingenommene und angstfreie Diskussion ist.
Wie ein Brandbeschleuniger wirken hier Versuche auf EU-Ebene, Instrumente wie eine Chatkontrolle einzuführen. Die Hölle des Totalitarismus rückt auf diese Weise immer näher. Wer zuvor noch sagen konnte, er äußere sich ja schließlich nicht öffentlich, also könne er auch nicht ins Fadenkreuz einer außer Rand und Band geratenen Verfolgung von Meinungsäußerungen geraten, muss – sollte eine solche Gesetzesinitiative Wirklichkeit werden – noch sehr viel weiter zurückweichen. Selbst Aussagen in einem privaten Kreis wären dann überwachbar und dementsprechend mit der Unsicherheit behaftet, ob nicht irgendeine staatliche Stelle eine bestimmte Sichtweise als kriminell betrachten würde. Sie muss nicht. Aber sie kann. Und genau darin besteht die Bedrohung.
Wer ernsthaft glaubt, dass ein solches Instrument der Chatkontrolle tatsächlich dauerhaft darauf beschränkt bleiben wird, Kinder vor Übergriffen zu schützen, verschließt die Augen vor den Lehren der Geschichte. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: In Deutschland startete das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als ein Mittel, strafbare Inhalte im Netz möglichst schnell zu entfernen. Mittlerweile gibt es über den Nachfolger dieses Gesetzes, den sogenannten Digital Services Act, bereits umfassende Melde- und Kooperationspflichten für Diensteanbieter – die ihrerseits bereits beim Äußern kritischer Meinungen tätig werden, um sich nicht selbst behördlicher Verfolgung auszusetzen. Oder als weiteres eklatantes Beispiel die Zweckentfremdung der während der Corona-Maßnahmen erhobenen Kontaktdaten für gänzlich anderweitige Zwecke, zum Aufspüren von Zeugen und Tatverdächtigen im Rahmen von Ermittlungsverfahren wie etwa Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr.
Die Puzzlestücke eines Instrumentariums, das immer weiter der Einschüchterung von Bürgern bei der Äußerung ihrer Meinung dient, fügen sich immer mehr zu einem Gesamtbild, das im Grunde jeden Menschen, der Rechtsstaatlichkeit als eine der großen Errungenschaften unserer modernen Gesellschaft zu schätzen weiß, erschaudern lassen muss. Und ein Großteil dieser „Maßnahmen“ werden öffentlich allzu laut beklatscht von Vertretern des links-alternativen Spektrums, von denjenigen, die sich stets auf der Seite der Guten wähnen und denen im Zweifelsfall jede Art von staatlicher Repression recht wäre, solange sie nur ihre eigene Lebenslüge schützt.
Verlieren wird in absehbarer Zeit jedoch das ganze Land, wir alle, sofern wir als Bürger einer immer weiter in die ureigensten privaten Bereiche hineinkriechenden Zweckausweitung von angeblich gut gemeinten Repressions- und Überwachungswerkzeugen nicht entgegentreten und die Wahrung von Grundrechten einfordern. Und diese Mission beginnt mit freier Meinungsäußerung. Wir brauchen Mut.
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